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Zugegeben: Aufgrund der aktuellen Situation hatte das Spiel unter einem besonderen Stern gestanden. In der riesigen SAP Arena waren, bis auf zehn Trommler, überhaupt keine Fans zugelassen. Im Vorfeld der Partie hatte DHfK-Trainer André Haber den Vorteil einer Geisterkulisse aber noch bei den Gastgebern gesehen, die eine solche Atmosphäre bei ihren deutlichen Heimerfolgen gegen Stuttgart und Essen schließlich schon zweimal durchlebt hatten. Während die Hausherren diesmal nach dem Spiel im wahrsten Sinne des Wortes entgeistert dreinschauen, sorgten die Leipziger Handballer, um bei dem Geister-Wortspiel zu bleiben, bei ihren Anhängern für große Begeisterung.
Bereits in der Anfangsphase der Begegnung war die Entschlossenheit der DHfK-Männer, die ungeschlagen und demzufolge mit breiter Brust nach Mannheim gereist waren, spürbar. Lucas Krzikalla verwandelte im zwölften Versuch seinen zwölften Siebenmeter der Saison zur 0:1-Führung und traf in der 10. Spielminute – abermals per Siebenmeter – zum 2:5 für die Gäste. Die eigentlich so kombinationsstarken Löwen hatten von Beginn an große Mühe mit der Leipziger Deckung und dem massiven Innenblock Mamic/Gebala. Das änderte sich auch bis zur 20. Minute nicht. Der Zwischenstand von 6:10 schmeichelte den Löwen sogar ein wenig, schließlich hatte Joel Birlehm nach einem Ballgewinn das leere Tor verfehlt und sich die DHfK-Männer im schnellen Umschaltspiel ein paar unnötige technische Fehler geleistet. Allein Nationalmannschaftskapitän Uwe Gensheimer sorgte in dieser Phase mit zahlreichen Treffern dafür, dass seine Mannschaft im Spiel blieb.
Dann wurde es ganz verrückt. Nach dem Löwen-Treffer zum 8:11 hatte Marko Mamic einen Schuh verloren und verließ das Spielfeld, der Leipziger Bank unterlief daraufhin ein ärgerlicher Wechselfehler. Somit musste der SC DHfK den Ballbesitz an die Löwen abgeben und zudem noch mit einem Mann weniger weiterspielen. Das hätte durchaus ein Wendepunkt in dieser Partie werden können, doch es geschah das Unfassbare. Den Leipzigern gelang es in Unterzahl gleich dreimal in Folge, den Löwen den Ball zu „klauen“ und einen Konter zu laufen. Lukas Binder, Lukas Binder und nochmal Lukas Binder traf eiskalt zum 8:12, 8:13 sowie 8:14 und reihte sich mit 73 Sekunden in der Kategorie „die schnellsten Hattricks der Bundesligageschichte“ mit Sicherheit sehr weit vorn ein. In seiner anschließenden Auszeit zeigte sich Leipzigs Coach André Haber äußerst selbstironisch: „Männer, der Wechselfehler war meiner. Ihr habt das gut gelöst. Wenn wir in der zweiten Halbzeit nochmal einen brauchen, machen wir nochmal einen“, so Haber mit einem dicken Augenzwinkern über den ungewöhnlichen 3:0-Lauf seiner Mannschaft in Unterzahl. Die Seiten wurden schließlich bei einem 12:16 gewechselt.
Die zweite Halbzeit begann aus Leipziger Sicht mit einer äußerst kritischen Situation. Keine zwei Minuten benötigten die Löwen, um schnell auf 14:16 zu verkürzen und sich obendrein den Ball zu erkämpfen. Jetzt waren die Nerven der DHfK-Männer gefragt. Und diese waren scheinbar aus Drahtseilen. Mit eindrucksvollen fünf Toren hintereinander vergrößerte der SC DHfK seinen Vorsprung binnen weniger Minuten auf 14:21 (36. Min) und sollte anschließend keine Zweifel mehr über den sensationellen Auswärtssieg aufkommen lassen. Die körperkulturellen Handballer nutzten die Verunsicherung der Rhein-Neckar Löwen ganz überlegt und erspielten sich Mitte der zweiten Hälfte gar eine 9-Tore-Führung (17:26). Es drohte tatsächlich eine Demütigung der stolzen Löwen.
In der Schlussphase der längst entschiedenen Partie schalteten beide Teams dann aber einen Gang runter und gaben einigen Akteuren noch etwas Spielpraxis. Die Ergebniskosmetik in der Endphase änderte aber nichts daran, dass der SC DHfK am 15. Oktober 2020 eines der besten Auswärtsspiele in seiner bisherigen Bundesligageschichte zeigte und völlig verdient zwei Punkte aus dem Löwenkäfig entführte. Wie schon nach dem zweiten Spieltag dürfen sich die Leipziger nun mindestens bis Sonntag Tabellenführer der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga nennen.
André Haber (Trainer SC DHfK Leipzig): „Ich bin sehr stolz auf den Charakter, den meine Mannschaft bewiesen hat. Wir waren im Angriff an einigen wichtigen Stellen sehr clever, haben gut gedeckt, hatten eine gute Torhüter-Symbiose und haben unsere eigenen Fehler wieder ausgebügelt. Heute hat sehr vieles gepasst und es war mit Sicherheit ein ganz besonderer Abend für uns.“
Martin Schwalb (Trainer Rhein-Neckar Löwen): „Glückwunsch an die Leipziger, die ihr Ding bis zum Ende durchgezogen haben. Wir haben von der ersten Minute an Probleme gehabt. Wir haben zu viele Fehler produziert und dadurch verliert man ein Spiel zurecht. Mit so einer Leistung war nicht zu rechnen, weil wir bisher alle Spiele gewonnen haben. Es war klar, dass wir heute eine gute Leistung bringen müssen, um dieses Spiel zu gewinnen, aber diese hat bei weitem gefehlt.“
Rhein-Neckar Löwen – SC DHfK Leipzig 23:28 (12:16)
Rhein-Neckar Löwen: Palicka, Katsigiannis; Schmid, Gensheimer (7/3), Kirkeløkke, Lagarde (3), Patrail (2), Tollbring (3), Ahouansou, Abutovic, Lagergren (2), Groetzki (5), Baena, Petersson, Gislason (1), Nilsson
SC DHfK Leipzig: Saeveras, Birlehm; Wiesmach (5), Krzikalla (4/4), Meyer-Siebert, Binder (5), Larsen (6), Roscheck, Weber (3), Mamic (4), Remke, Gebala, Milosevic (1), Esche, Pieczkowski
Siebenmeter: Löwen 3/3, Leipzig 4/4
Strafminuten: Löwen 6 Min, Leipzig 6 Min
Schiedsrichter: Colin Hartmann / Stefan Schneider
Zuschauer: keine