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WENN SPIELER BEI DER EINWECHSLUNG DEM TRAINER DIE FÜSSE KÜSSEN

WIE AUS ERWIN KALDARASCH EIN WELTREISENDER IN SACHEN HANDBALL WURDE
Manche Betrachter haben sich tatsächlich gewundert, dass Erwin Kaldarasch so groß wie Paul Tiedemann sein sollte. Jedenfalls auf den ersten Blick, wenn sie das berühmte Mannschaftsfoto der Europapokalsieger von 1966 betrachteten. Dann sahen sie aber auch gleich das verschmitzte Lächeln des Linksaußen und ahnten, dass da etwas nicht stimmen konnte. Denn Kaldarasch, das war hinlänglich bekannt, war immer für einen Streich gut. Auch in dem Moment, als das Foto mit den zwölf Spielern und ihrem Trainer Hans-Gert Stein entstand.
Die Aufklärung folgte, wenn der Blick nach unten wanderte und zu erkennen ist, wie der junge Mann am rechten Rand der oberen Reihe auf Zehenspitzen steht. Um sich ein bisschen größer zu machen und seine 1,71 m Körpergröße etwas zu kaschieren. Was mag der Versuch gebracht hatten, sieben, acht Zentimeter? „Keine Ahnung“, antwortet Kaldarasch. „Ich hab‘ das einfach gemacht und mich spontan in diesem Moment dazu entschlossen.“ Die entsprechenden Bemerkungen der Kollegen ließen nicht auf sich warten. „Wir kannten doch unseren Erwin“, sagt sein damaliger Mannschaftskamerad Wolf-Dietrich Neiling. „Er war immer für einen Spaß zu haben und sorgte stets für gute Laune.“ Auch am Billardtisch, an dem ihm beachtliche Fähigkeiten nachgesagt werden.

Der „Spaßvogel“ kam 1958 als 18-Jähriger zum Studium an die DHfK nach Leipzig. Zu Hause war er damals im thüringischen Neustadt/Orla, wo seine Familie gelandet war, nachdem sie wie andere Deutsche während des Krieges Rumänien verlassen mussten. Dort in Brodina wurde Kaldarasch geboren. Sport war ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt worden, schon als Kind und Jugendlicher verspürte er einen großen Bewegungsdrang. Mit dem Ergebnis, dass er 1955 in die Kinder- und Jugendsportschule Bad Blankenburg aufgenommen wurde, um hauptsächlich Leichtathletik zu betreiben. Das ließ sich auch äußerst vielversprechend an, gerade im Speerwerfen (weit über 50 m) und Stabhochsprung (3,70 m) erzielte der Abiturient beachtliche Leistungen.

Es fügte sich dennoch glücklich, dass an dieser Schule ein Sportlehrer namens Hermann Kleppe arbeitete, der selbst Handballer war und seine Schüler auch mit dieser Sportart vertraut machte. Das Ergebnis: Dieser Sport wurde für Kaldarasch die Nummer eins, Motor Bad Blankenburg sein erster Verein. Als er in Leipzig nach seinen besonderen sportlichen Interessen gefragt wurde, antwortete er: Handball. Eine Antwort, die sein künftiges Leben nachhaltig bestimmen sollte.
In der Oberliga-Mannschaft wurde er auch am Kreis eingesetzt. „Doch da war es auch schon damals von Vorteil, wenn man gewissermaßen mehr Masse mitbrachte, also andere körperliche Voraussetzungen hatte als ich.“ Somit spielte er vorwiegend auf der Außenposition. „Wo man auch weniger Fehler machen kann“, folgt ein typischer, weil mit Ironie behafteter Kaldarasch-Satz.
Dass der Linksaußen ein erfolgreicher Trainer werde würde, hatte sich auch nach dem Europapokal-Triumph gegen Honved Budapest in Paris keineswegs abgezeichnet. Kaldarasch verfolgte andere Pläne, wollte eigentlich Arzt werden. Deshalb studierte er auch noch Medizin, genau eineinhalb Jahre. Neiling, mit dem er gemeinsam ein Zimmer im DHfK-Internat bewohnte, erinnert sich noch gut, wie er dem Mediziner in spe mit dem Lehrbuch auf dem Schoß und einem Schädel in der Hand Fachbegriffe abfragte. „Ich war voller Respekt, was man da alles lernen musste“, so Neiling.Nach den Olympischen Spielen 1988 ging Tiedemann ins Ausland. Die isländische Nationalmannschaft sollte er ursprünglich übernehmen. „Der Vertrag war schon unterzeichnet und in der Westpresse zum Teil öffentlich geworden. Da hat sich die Sportleitung in einer Sondersitzung mit meinem Fall nochmal beschäftigt und die Sache abgesagt“, erklärte Tiedemann.

Die Absage erfolgte zur Freude der Ägypter, die ihn schon viel früher haben wollten. Dort also „landete“ er und erlebte oder besser erfuhr auch von der Wende zu Hause. Dass er nicht sofort großen Anteil am Geschehen in der Heimat nahm, hängt mit dem Tod seiner Frau zusammen. Sie arbeitete als Lehrerin in der Botschaft in Kairo, wurde jeden Morgen abgeholt und am 26. Februar 1990 beim Warten auf das Auto von einem anderen Fahrzeug angefahren.
Erwin Kaldarasch beim Wurf während eines Spiels seines SC DHfK gegen Empor Rostock in den 60-er Jahren.
Dass das Leben des EC-Siegers eine andere Richtung einnahm als geplant, hängt mit einem Angebot aus Schwerin zusammen. 1967 fragten ihn die Mecklenburger, ob er nicht als Trainer bei Post einstigen wolle. Er überlegte gründlich, ging mit sich vor allem wegen des Medizin-Studiums ins Gericht und zog um. Post Schwein stieg 1970 in die Oberliga auf, damals die höchste Spielklasse in der DDR. „Wir hatten gute Bedingungen, die in erster Linie die Post geschaffen hatte“, so Kaldarasch. „Die Spieler wurden in diesem Unternehmen angestellt und für das Training freigestellt.“ War der Aufstieg noch in erster Linie mit einheimischen Spielern geschafft worden, gab es danach einige Zugänge. Der Trainer holte Hannes Eichhorn, seinen einstigen Weggefährten aus Leipzig. Torhüter Uli Günther kam aus Bad Blankenburg, wo er gerade seinen Armeedienst beendet hatte und während eines Turniers Kaldarasch aufgefallen war. „Ich habe mich gewundert, was für einen jungen Trainer die Schweriner hatten“, sagt Günther. „Er war ja fast im selben Alter wie unser Kapitän Pit Kahr. Das kannte ich von meinen bisherigen Stationen nicht“, so der einstige Schlussmann von Motor Eisenach. 1972 folgte mit Peter Larisch vom SC Leipzig der namhafteste Neuzugang. Die Schweriner erzielten unter Kaldarasch beachtliche Resultate und Platzierungen. Zweimal Rang vier in der Oberliga, eine gehörige Überraschung für einen nicht staatlich geförderten Verein, sind dafür das beste Beispiel. Auch so mancher Sportclub kassierte in der Schweriner Kongresshalle eine Niederlage, was immer eine Sensation galt. Am 2. Februar 1975 verlor der SC DHfK dort 15:18, Kaldarasch kann sich nicht mehr an dieses Spiel erinnern …
Kurz darauf änderte sich sein Leben erneut grundlegend. Er sollte die kuwaitische Nationalmannschaft übernehmen. „Das wollte ich aber nur, wenn ich mich mit den Spielern auch unterhalten konnte.“ Also lernte er ein halbes Jahr intensiv englisch, doch danach stand das Angebot der Kuwaitis nicht mehr. Dafür folgte eine Offerte aus Algerien. Kaldarasch lernte drei Monate französisch und arbeitete schließlich von 1977 bis 1979 bei den Nordafrikanern. Ebenso 1987/89 und 2004. Fast Jahre dauerte sein Engagement in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Daher rührt, dass er auch arabisch „über die Runden“ kommt. Allerdings nicht so perfekt wie die beiden anderen Sprachen, englisch und französisch unterrichtet er nach wie vor an der Schweriner Volkshochschule.

Weitere Stationen des Weltreisenden im Sachen Handball waren als Auswahl- beziehungsweise Klubtrainer oder auch Berater unter anderem Indien, Saudi-Arabien, Syrien, Kamerun und Mali. Mit seinen Teams nahm er mehrmals als Asien- und Afrikaspielen teil. Die Gastgeberschaft Indiens für die Asienspiele 1982 bescherten dem einstigen Europapokalsieger aus Leipzig ein ganz besonderes Erlebnis hatte. „Wenn ich einen Spieler einwechselte, kam er zu mir und küsste mir die Füße als Zeichen höchster Ehrerbietung.“ Es dauerte, aber schließlich verstanden die Spieler, dass ihrem deutschen Trainer ein Schulterklopfen reichte.

Autor: Winfried Wächter
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